Tunesien 1943: Amerikas demütigendste Niederlage im Weltkrieg - WELT (2024)

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Während in der eisigen Steppe an der Grenze Europas zu Asien die eingeschlossene 6. Armee der Wehrmacht verhungerte und erfror, bereitete sich in Nordafrika ein anderes Drama vor, das bald unter dem vielsagenden Schlagwort „Tunisgrad“ die Runde machen sollte.

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Tatsächlich waren die deutschen und italienischen Truppen nach ihrer Niederlage gegen die Briten vor El Alamein Anfang November 1942 und der kurz darauf erfolgten Landung amerikanischer und britischer Truppen in Französisch-Westafrika buchstäblich zwischen zwei Mühlräder geraten, die sich unaufhaltsam aufeinander zu bewegten.

Rommel widersetzte sich Befehlen Hitlers

Dass die ausgelaugten Truppen des Generalfeldmarschalls Erwin Rommel nicht alsbald dazwischen zerrieben wurden, hatte drei Gründe: In Nordafrika gibt es keine sibirischen Temperaturen; viele alliierte Truppen – zumal die der Amerikaner – waren unerfahren; und Rommel war nicht Friedrich Paulus, der Hitlers Befehl bis zum Letzten befolgte und keinen Ausbruch aus Stalingrad wagte.

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Gegen den ausdrücklichen Befehl seines „Führers“ hatte Rommel vielmehr die verlorene Schlacht an der ägyptischen Grenze abgebrochen und sich trotz dramatischen Mangels an Fahrzeugen, Panzern und Treibstoff schneller in Richtung Westen zurückgezogen, als die Briten ihm folgen konnten.

Im Dezember erreichte er mit dem Gros seines Afrikakorps Tunesien, das das Vichy-Regime ihm geöffnet hatte, und besetzte die Mereth-Festungslinie, die französische Pioniere in den Dreißigerjahren zur Sicherung gegen die Italiener in Libyen errichtet hatten. Bereits im November waren einige deutsche und italienische Divisionen nach Tunesien verlegt worden, die als 5. Panzerarmee unter dem Befehl des Generals Hans-Jürgen von Arnim zusammengefasst wurden. Ihm gelang es, die von Algerien aus vordringenden alliierten Truppen aufzuhalten und sogar zurückzuwerfen.

Unternehmen Morgenluft: Die große Niederlage der USA

Obwohl das Kräfteverhältnis sich auch in Afrika zumindest materiell in ähnlichen Größenordnungen bewegte wie an der Stalingrad-Front, planten die beiden deutschen Befehlshaber bald eine Gegenoffensive. Am 14. Februar 1943 eröffnete Rommel das „Unternehmen Morgenluft“. Es war, wie der amerikanische Historiker Paul Kennedy in seinem neuen Buch “Die Casablanca-Strategie“ schreibt, „abgesehen von MacArthurs schwerer Niederlage auf den Philippinen Anfang 1942 … dies wahrscheinlich der demütigendste Schlag für die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg“.

Rommels Plan war es, sich zunächst gegen die Amerikaner im Westen zu wenden, um anschließend – die Vorteile der inneren Linien nutzend – die britischen Truppen unter Bernard Montgomery zu attackieren, die von Libyen aus vorrückten. Allerdings hatte der Feldmarschall das Problem, dass ihm trotz seines hohen Rangs die Truppen, die er dafür brauchte, nur teilweise unterstanden. Denn ihm lag ein Befehl Hitlers vor, wegen seiner angegriffenen Gesundheit Urlaub zu nehmen. Arnim behielt sein Kommando, während der Italiener Giovanni Messe die Stellungen im Osten übernahm.

Während sich Arnim auf seinen Stoß nach Sidi Bouzid und Bir El Hafey („Unternehmen Frühlingswind“) konzentrierte und versprochene Truppen für Rommel als Reserve zurückhielt, musste dieser sein Unternehmen mit ganzen zwei Panzer-Divisionen in Szene setzen. Diese verfügten nur noch über ein Drittel ihrer Sollstärke an Panzern (je 60 bis 70), während die US-Panzer-Divisionen über jeweils mehr als 350 Kampfwagen verfügten. Die deutsche Luftwaffe war auf rudimentäre Reste zusammengeschmolzen.

Umso bemerkenswerter war Rommels Angriff. Bereits in den ersten Stunden wurden 50 amerikanische Panzer vernichtet. Am 20. Februar stürmten einige Bataillone deutscher und italienischer Infanterie den Kasserine-Pass, der von 30.000 Alliierten verteidigt worden war. Allein die Amerikaner verloren fast 200 Panzer, 100 Halbkettenfahrzeuge, über 200 Geschütze und 500 Lkws und Jeeps sowie 6000 Gefangene. „Der Feind war erstaunt über die Menge und die Qualität der amerikanischen Ausrüstung, die mehr oder weniger unversehrt erbeutet worden war“, heißt es in einem US-Bericht.

„Es gab keinen gemeinsamen Abwehrplan“

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Was Rommels Durchbruch für die alliierte Front bedeutete, hat der britische General Harold Alexander schonungslos zusammengefasst: „In der Verwirrung des Rückzuges wurden amerikanische, französische und britische Truppen unentwirrbar durcheinandergemischt; es gab keinen gemeinsamen Abwehrplan mehr und dafür völlige Unklarheit darüber, wer kommandierte.“ Sogar die alliierten Nachschublager, die 60 Kilometer hinter der Front lagen, wurden bereits in Brand gesetzt, um sie Rommel nicht in die Hände fallen zu lassen.

Der aber stoppte seinen Vormarsch, nachdem er noch eine britische Panzerbrigade aus dem Weg geräumt hatte. Der deutsche General war sich der drückenden Überlegenheit der Alliierten durchaus bewusst. Er hatte zwar nur 2000 Mann, aber zahlreiche Panzer verloren, die kaum noch zu ersetzen waren. So zog er sich zurück, bevor die Gegner seine missliche Lage überhaupt erkannten. Oder, wie es in der amtlichen US-Geschichte heißt: Unsere Operationen gerieten „außerordentlich zögernd gerade zu dem Zeitpunkt, als der Feind am verwundbarsten war“. Der kommandierende General Lloyd Fredendall wurde denn auch umgehend durch den aggressiven George Patton ersetzt.

Rommel, der Ende Februar doch noch zum Oberkommandierenden der sogenannten Heeresgruppe Afrika ernannt worden war, wandte sich umgehend mit allen verfügbaren Kräften nach Osten. Armins Vorstoß hatte sich zuvor in sumpfigem Gelände festgefahren, wobei die neue „Wunderwaffe“, ein gutes Dutzend Tiger-Kampfpanzer, weitgehend verloren gingen.

Für Paul Kennedy war Rommels Sieg am Kasserine-Pass einmal mehr ein Triumph der sogenannten Blitzkrieg-Taktik. Wie in der Schlacht auf der Salomonen-Insel Guadalcanal im Südpazifik sollten die Amerikaner jedoch sehr schnell ihre Schlüsse daraus ziehen.

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